Mit der Vorlage einer weder auf einer ärztlichen Untersuchung noch aufgrund einer individuellen ärztlichen Anamnese beruhenden aus dem Internet heruntergeladenen Bescheinigung über eine Corona-Impfunverträglichkeit verstößt eine Arbeitnehmerin, die im Krankenhaus arbeitet, gegen eine gesetzlich geregelte Nebenpflicht aus ihrem Arbeitsvertrag, § 20a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 IfSG a.F., § 241 Abs. 2 BGB.

Bei der Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten kommt eine fristlose Kündigung regelmäßig erst dann in Betracht, wenn das Gewicht der Pflichtverletzung durch besondere Umstände erheblich verstärkt wird.

Allein die Vorlage einer solchen Internet-Bescheinigung ist an sich nicht geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darzustellen (Einzelfallentscheidung, aA. LAG Schleswig-Holstein, 24.11.2022 – Az: 4 Sa 139/22).

Hierzu führte das Gericht aus:

Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob die Rechtsfolgen des zum Zeitpunkt des Ausspruchs der streitgegenständlichen Kündigung geltenden § 20a Abs. 5 IfSG i.d.F. vom 10.12.2021 (künftig: a.F.) bei entsprechenden Verstößen gegen die Nachweispflichten des § 20a Abs. 2 IfSG a.F. eine Sperrwirkung für arbeitsrechtliche Maßnahmen bis hin zu einer außerordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber enthält.

„§ 20a IfSG a.F. enthält u.a. folgende Regelungen:

„§ 20a Immunitätsnachweis gegen COVID-19


(2) Personen, die in den in Absatz 1 Satz 1 genannten Einrichtungen oder Unternehmen tätig sind, haben der Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens bis zum Ablauf des 15. März 2022 folgenden Nachweis vorzulegen:
1. einen Impfnachweis im Sinne …
2. einen Genesenennachweis im Sinne …

3. ein ärztliches Zeugnis darüber, dass sie auf Grund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft werden können.

Wenn der Nachweis nach Satz 1 nicht bis zum Ablauf des 15. März 2022 vorgelegt wird oder wenn Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises bestehen, hat die Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens unverzüglich das Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befindet, darüber zu benachrichtigen und dem Gesundheitsamt personenbezogene Angaben zu übermitteln. Die oberste Landesgesundheitsbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle kann bestimmen, dass

1. der Nachweis nach Satz 1 nicht der Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens, sondern dem Gesundheitsamt oder einer anderen staatlichen Stelle gegenüber zu erbringen ist,
2. die Benachrichtigung nach Satz 2 nicht durch die Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens, sondern durch die nach Nummer 1 bestimmte Stelle zu erfolgen hat,
3. die Benachrichtigung nach Satz 2 nicht gegenüber dem Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befindet, sondern gegenüber einer anderen staatlichen Stelle zu erfolgen hat.


(5) Die in Absatz 1 Satz 1 genannten Personen haben dem Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befindet, auf Anforderung einen Nachweis nach Absatz 2 Satz 1 vorzulegen. 2Bestehen Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises, so kann das Gesundheitsamt eine ärztliche Untersuchung dazu anordnen, ob die betroffene Person auf Grund einer medizinischen Kon-traindikation nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft werden kann. Das Gesundheitsamt kann einer Person, die trotz der Anforderung nach Satz 1 keinen Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorlegt oder der Anordnung einer ärztlichen Untersuchung nach Satz 2 nicht Folge leistet, untersagen, dass sie die dem Betrieb einer in Absatz 1 Satz 1 genannten Einrichtung oder eines in Absatz 1 Satz 1 genannten Unternehmens dienenden Räume betritt oder in einer solchen Einrichtung oder einem solchen Unternehmen tätig wird. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine vom Gesundheitsamt nach Satz 2 erlassene Anordnung oder ein von ihm nach Satz 3 erteiltes Verbot haben keine aufschiebende Wirkung.“

Bei § 20a IfSG a.F. handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Norm zur Eindämmung und Bekämpfung der Corana-Pandemie. Dies ergibt sich bereits aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes, der in § 1 IfSG a.F. niedergelegt ist. § 1 Abs. 2 IfSG a.F. stellt hierfür auf erforderliche Mitwirkung und Zusammenarbeit von u.a. Ärzten, Krankenhäusern sowie sonstigen Beteiligten mit den öffentlichen Institutionen sowie die Eigenverantwortung von u.a. Trägern und Leitern von Gemeinschafts- und Gesundheitseinrichtungen sowie des Einzelnen ab. Mit der Normierung eines Immunitätsnachweises iSd. § 20a IfSG a.F. wollte der Gesetzgeber eine Steigerung der Impfquote unter den in bestimmten Einrichtungen und Unternehmen tätigen Personen und den Schutz vulnerabler Personengruppen vor einer Covid-19-Erkrankung erreichen (siehe Drucksache 20/188 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Impfprävention gegen COVID-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie v. 06.12.2021). Diesem öffentlich-rechtlichen Zweck dient § 20a IfSG a.F. Mit dem Arbeitsgericht Lübeck, 06.10.2022 – Az: 3 Ca 187/22 – geht auch die Berufungskammer davon aus, dass § 20a Abs. 2 IfSG a.F. indessen nicht das auf dem Arbeitsvertrag fußende Direktions- und Sanktionsrecht des Arbeitgebers im Falle eines Verstoßes der Arbeitnehmer gegen die Nachweispflichten gegenüber dem Arbeitgeber beschränkt. Bei den Nachweispflichten gegenüber dem Arbeitgeber handelt es sich um eine gesetzlich vorgeschriebene Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis (§ 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG a.F. iVm. § 241 Abs. 2, 611 Abs. 1 BGB und dem Arbeitsvertrag), damit der Arbeitgeber seinerseits seine informationspflichten gegenüber dem Gesundheitsamt erfüllen kann, § 20a Abs. 2 Satz 2 IfSG a.F. Denn in Satz 2 ist geregelt, dass der Arbeitgeber das Gesundheitsamt unverzüglich zu benachrichtigen hat, falls Arbeitnehmer ihrer Nachweispflicht nicht nachgekommen sind oder der Arbeitgeber Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit der vorgelegten Impf- oder Genesenennachweise oder Impfunfähigkeitsbescheinigungen hat. Eine Einschränkung der Rechte des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer aus dem individual-rechtlich vereinbarten Arbeitsvertrag enthält diese Norm nicht. Dies folgt letztlich auch aus § 20a Abs. 5 IfSG a.F. In dieser Vorschrift sind ausschließlich Handlungsoptionen des Gesundheitsamtes gegenüber den Arbeitnehmern genannt, die den Nachweispflichten in § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG a.F. nicht oder nicht ausreichend nachgekommen sind. Die daneben bestehenden Rechte des Arbeitgebers aus dem individual-rechtlichen Arbeitsvertrag sowie die grundrechtlich geschützten Unternehmerentscheidungen in Bezug auf die Organisation seines Betriebs lässt die Vorschrift unberührt.

Ob § 20a IfSG a.F. vorliegend bereits einer außerordentlichen Kündigung entgegensteht, ist indessen nicht streitentscheidend, sodass es hierauf letztlich nicht ankommt. Diesen erstinstanzlichen Einwand hat die Klägerin im Berufungsverfahren auch nicht mehr aufrechterhalten.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete gleichwohl nicht zum 31.07.2022, da kein wichtiger Grund zur außerordentliche Kündigung vorlag.

1. Die Rechtswirksamkeit der außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist scheitert vorliegend an den gesetzlichen Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB.

a) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die rechtliche Überprüfung nach § 626 Abs. 1 BGB erfolgt in zwei Stufen: Zum einen muss ein Grund vorliegen, der – ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles – überhaupt an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Zum anderen muss dieser Grund im Rahmen der Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch des Verhältnismäßigkeitsprinzips, zum Überwiegen der berechtigten Interessen des Kündigenden an der fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen.

b) Die Interessenabwägung im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB hat mithin bei Vorliegen einer Vertragspflichtverletzung u. a. zum Gegenstand, ob dem Kündigenden eine mildere Reaktion als eine fristlose Kündigung, also insbesondere eine Abmahnung oder fristgerechte Kündigung zumutbar war. Ordentliche und außerordentliche Kündigungen wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist. Liegt nur eine dieser Fallgruppen vor, kann Ergebnis der Interessenabwägung nicht sein, den Kündigenden auf eine Abmahnung als milderes Mittel zu verweisen. Die zweite Fallgruppe betrifft ausschließlich das Gewicht der in Rede stehenden Vertragspflichtverletzung, die für sich schon die Basis für eine weitere Zusammenarbeit irreparabel entfallen lässt. Dieses bemisst sich gerade unabhängig von einer Wiederholungsgefahr. Die Schwere einer Pflichtverletzung kann zwar nur anhand der sie beeinflussenden Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, diese müssen aber die Pflichtwidrigkeit selbst oder die Umstände ihrer Begehung betreffen. Dazu gehören etwa ihre Art und ihr Ausmaß, ihre Folgen, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers sowie die Situation bzw. das „Klima“, in der bzw. in dem die Vertragsverletzungen sich ereigneten.

2. Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen mangelt es vorliegend bereits an einem wichtigen Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB, der „an sich geeignet“ ist, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darzustellen (a). Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die Beklagte die – hier allein noch im Streit stehende – außerordentliche Kündigung mit „sozialer Auslauffrist“ ausgesprochen hat (b). Ungeachtet dessen fiele aber auch die Interessenabwägung vorliegend zugunsten der Klägerin aus (c).

Die Beklagte stützt die außerordentliche Kündigung darauf, dass die Klägerin sie, die Beklagte, mit der Vorlage der weder auf einer ärztlichen Untersuchung noch aufgrund einer individuellen ärztlichen Anamnese beruhenden Bescheinigung vom 04.01.2022 absichtlich zu täuschen versucht habe. Gegenstand der Täuschung sei eine vermeintlich ärztlich festgestellte individuelle Impfunfähigkeit.

a) Dieser Kündigungsgrund ist bereits „an sich“ nicht geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darzustellen.

aa) Dabei kann unterstellt werden, dass die Klägerin wusste, dass es sich bei der strittigen Bescheinigung nicht um ein ärztliches Zeugnis iSd. § 20a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 IfSG a.F. handelte. Ein ärztliches Zeugnis liegt nur dann vor, wenn ein Arzt aufgrund einer persönlichen Untersuchung oder aufgrund bereits vorhandener Untersuchungsergebnisse oder einer fernmündlich oder online erhobenen Anamnese eine mündliche oder schriftliche Diagnose über diesen Patienten abgibt. Bei der hier strittigen „Bescheinigung einer vorläufigen Impfunfähigkeit“ handelt es sich unstreitig nicht um ein ärztliches Zeugnis, sondern um eine aus dem Internet heruntergeladene Bescheinigung ohne individuellen Bezug zur Klägerin. Die Klägerin, die selbst seit Jahrzehnten im Gesundheitswesen als Gesundheits- und Krankenpflegerin tätig ist, wusste auch, dass es sich bei der Internet-Bescheinigung nicht um ein ärztliches Zeugnis im vorgenannten Sinne handelte.

bb) Mit der Vorlage dieses Fake-Dokuments hat die Klägerin gegen eine gesetzlich geregelte Nebenpflicht aus ihrem Arbeitsvertrag verstoßen, §§ 20a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 IfSG a.F., 241 Abs. 2 BGB. Aufgrund der Aufforderung vom 17.12.2021 hat die Klägerin der Beklagten die Internet-Bescheinigung vom 04.01.2022 übergeben. Sie hat damit erkennbar den Eindruck erwecken wollen, dass die unterzeichnende Ärztin, Frau Dr. M., bei ihr tatsächlich eine Impfunverträglichkeit festgestellt hat. Damit hat die Klägerin ihre vertragliche Nebenpflicht, eine Bescheinigung nach § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG a.F. vorzulegen, verstoßen.

(1) Aber nicht jede Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten ist „an sich geeignet“ eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Bei der Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten – wie vorliegend – kommt eine fristlose Kündigung regelmäßig erst dann in Betracht, wenn das Gewicht der Pflichtverletzung durch besondere Umstände erheblich verstärkt wird. Diese können etwa darin liegen, dass der Arbeitnehmer seine Nebenpflichten beharrlich verletzt oder durch sein Verhalten anderweitig deutlich macht, dass er auch in Zukunft nicht bereit sein werde, ihnen nachzukommen.

(2) Diese Voraussetzungen einer derart schwerwiegenden Verletzung von Nebenpflichten liegen hier jedoch nicht vor.

(a) Insbesondere kann der Klägerin nicht der Vorwurf einer beharrlichen Verletzung der in Rede stehenden Nebenpflicht gemacht werden. Denn die Beklagte hat die Klägerin nach Erhalt der strittigen Internet-Bescheinigung gerade nicht aufgefordert, sich von einem Amts- oder Betriebsarzt oder ihrem Hausarzt oder einem Allergologen untersuchen zu lassen, um eine etwaig bestehende Impfunverträglichkeit abklären und bescheinigen zu lassen. Hierzu hätte sie jedoch Anlass gehabt, da sie sogleich hätte erkennen können und auch erkannt hat, dass es sich bei dem vorgelegten Dokument nicht um eine von Dr. M. individuell für die Klägerin erteilte ärztliche Bescheinigung über eine diagnostizierte Impfunverträglichkeit handelte. So ist bereits in der Überschrift von einer „vorläufigen“ Impfunfähigkeit die Rede. Es sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Klägerin dieser Aufforderung nicht nachgekommen wäre. Von einer beharrlichen Verletzung vertraglicher Nebenpflichten kann mithin nicht ausgegangen werden.

(b) Die Beklagte hat auch keine Umstände vorgetragen noch sind solche ersichtlich, dass die Klägerin sich auch zukünftig aus Prinzip und damit nachhaltig geweigert hätte, impfen zu lassen oder sich auf eine etwaig bestehende Impfunverträglichkeit von einem Arzt untersuchen zu lassen und eine entsprechende Bescheinigung vorzulegen. Hierzu fehlt jeglicher Vortrag der darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten.

(aa) Bei der Beurteilung der Schwere des Fehlverhaltens der Klägerin darf auch nicht verkannt werden, dass sich in den Medien auch Ärzte immer wieder kritisch über die Covid-Impfstoffe äußerten, sodass in Teilen der Bevölkerung eine durchaus ernst zu nehmende Angst vor erheblichen und langanhaltenden Impfnebenwirkungen (z.B.: Long COVID) bestand und besteht. Es kann mithin gerade nicht von vornherein unterstellt werden, dass auch jeder gesunde Arbeitnehmer prinzipiell davon ausgeht bzw. ausgehen muss, dass die Covid-Impfstoffe keine erheblichen Nebenwirkungen verursachen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Betroffene bereits eine Grunderkrankung hat.

In der Berufungsverhandlung hat die Klägerin unbestritten vorgetragen, dass sie Allergikerin sei und deshalb nach der Aufforderung der Beklagten vom 17.12.2021 auch versucht habe, eine aufgrund ihrer Allergien etwaig bestehende Impfunverträglichkeit durch einen Arzt feststellen zu lassen. Dies sei ihr jedoch innerhalb der von der Beklagten gesetzten Frist bis zum 15.01.2022 nicht gelungen. Zudem habe sie von den angesprochenen Ärzten (Hausarzt und Stationsärztin) die Auskunft erhalten, dass die Impfstoffe ohne Beipackzettel geliefert würden, sodass mangels Kenntnis über die Inhaltsstoffe keine Aussagen zu einer etwaigen Impfunverträglichkeit gemacht werden könnten. Auch in der Apotheke habe man ihr bestätigt, dass es für die Impfstoffe keine Beipackzettel gebe. Zudem hätte sie bei einem Facharzt für Allergologie erst im April 2022 oder später einen Termin erhalten. Diese in sich schlüssigen Darlegungen der Klägerin, denen die Beklagte nicht entgegengetreten ist, belegen, dass die Klägerin selbst infolge ihrer Allergien von einer Impfunfähigkeit ausgeht, zumindest aber Zweifel an ihrer Impffähigkeit hat. Die Beklagte hat demgegenüber keine Tatsachen vorgetragen, die darauf hindeuteten, dass die Klägerin sie, die Beklagte, wider besseren Wissens über die Impfunfähigkeit habe täuschen wollen.

(bb) Hinzu kommt, dass die Beklagte mit ihrer Aufforderung vom 17.12.2021 den Beschäftigten zur Vorlage einer Bescheinigung nach § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG a.F. eine sehr kurze Frist bis zum 15.01.2022 gesetzt hatte, obwohl § 20a Abs. 2 Satz 2 IfSG a.F. eine Frist bis zum 15.03.2022 enthielt. In dieser Frist waren nicht nur die Weihnachts- und Neujahrsfeiertage, sondern auch die Schulferien, in denen Arztpraxen häufig nicht vollständig besetzt sind. Es ist mithin in sich glaubhaft, dass die Klägerin innerhalb der kurzen Frist keinen Termin bei einem Allergologen erhielt. Die Beklagte hat diese Behauptung auch weder bestritten noch widerlegt.

(cc) Es kann mithin gerade nicht unterstellt werden, dass die Klägerin die Beklagte bewusst über eine bei ihr nicht bestehende Impfunverträglichkeit täuschen wollte. Hierzu hätte die Klägerin selbst davon ausgehen müssen, dass sie die Impfstoffe – trotz ihrer Allergien – problemlos verträgt. Die Klägerin war nach ihrer eigenen Einlassung zumindest unsicher, ob sie sich – ohne erhebliche Nebenwirkungen befürchten zu müssen – gegen Covid-19 hätte impfen lassen können. Gegenteiliges hat die Beklagte weder schlüssig vorgetragen noch unter Beweis gestellt.

(c) Die besondere Schwere der Verletzung der hier in Rede stehenden Nebenpflicht ergibt sich aber auch nicht daraus, dass sich die Klägerin mit der Vorlage der Internet-Bescheinigung zugleich einer Straftat zulasten der Beklagten schuldig gemacht hätte. In Betracht kommt hier lediglich ein versuchter Betrug. Einen strafbewährten Betrug gemäß § 263 Abs. 1 u. 2 StGB begeht jemand, der in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält. Der Versuch ist ebenfalls strafbar, § 263 Abs. 2 StBG.

(aa) Ein vollendeter Betrug liegt hier schon deshalb nicht vor, weil die Beklagte sogleich erkannt hat, dass es sich bei der Internet-Bescheinigung nicht um ein tatsächlich für die Klägerin erteiltes ärztliches Zeugnis iSd. § 20a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 IfSG a.F. handelte. Aber auch für einen versuchten Betrug fehlen die Voraussetzungen. Die Beklagte hat bereits nicht dargelegt, welchen Vermögensvorteil sich die Klägerin zu ihren, der Beklagten Lasten, mit der Vorlage der Internet-Bescheinigung versucht hat rechtswidrig zu erschleichen. Hierzu hat die Beklagte nichts vorgetragen.

(bb) Ungeachtet dessen hat die Klägerin die Beklagte aber auch nicht über ihre tatsächlich nicht vorhandene Impfunfähigkeit zu täuschen versucht. Soweit die Beklagte behauptet, die Klägerin habe absichtlich bei ihr den Irrtum erregen wollen, sie sei impfunfähig, obwohl dies tatsächlich nicht zutreffe, fehlt es an Tatsachen, die einen solchen Schluss zuließen. Vielmehr hat die Klägerin unwidersprochen und unwiderlegt vorgetragen, dass sie infolge ihrer Allergien gerade nicht wisse, ob sie nicht auch gegen die Inhaltsstoffe der Covid-Impfseren allergisch ist. Eine absichtliche und damit vorsätzliche Täuschung über die mit der Internet-Bescheinigung attestierte Impfunverträglichkeit liegt mithin nicht vor. Vielmehr hat die Klägerin die Beklagte allenfalls darüber zu täuschen versucht, dass es sich bei der Internet-Bescheinigung um ein von Dr. M. aufgrund einer persönlichen Untersuchung oder einer fernmündlichen oder online erhobenen Anamnese für sie, die Klägerin, erstelltes ärztliches Zeugnis iSv. § 20a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 IfSG a.F. handelte.

(cc) Aber auch der Inhalt der Internetbescheinigung spricht dagegen, dass die Klägerin die Beklagte über den Status ihrer Impffähigkeit oder Impfunfähigkeit täuschen wollte. Denn die Überschrift steht bereits dem Vorliegen einer Bescheinigung nach§ 20a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 IfSG a.F. entgegen. Nach dieser Vorschrift wird ein ärztliches Zeugnis darüber verlangt, dass die Person aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft werden kann. Die Impfunfähigkeit muss mithin aufgrund einer ärztlichen Diagnose feststehen. Die Überschrift der Internet-Bescheinigung spricht hingegen von einer „vorläufigen Impfunfähigkeit“. Was unter „vorläufig“ zu verstehen ist, folgt aus dem folgenden Inhalt der Bescheinigung. Dort heißt es eingerahmt und damit hervorgehoben, dass dieser Patient „vor einer Impfung … eine Überempfindlichkeit gegen einzelne Inhaltsstoffe von einem Facharzt für Allergologie überprüfen lassen“ müsse. Ferner steht dort, dass dieser Patient bis zum Vorliegen eines Impfstoff-Allergie-Gutachtens zeitlich begrenzt bis zum 04.07.2022 impfunfähig sei. Das Wort „vorläufig“ bezieht sich mithin darauf, dass bislang noch keine medizinische Aussage über die Impfunfähigkeit der Klägerin getroffen werden konnte, weil noch weitere Untersuchungen durch einen Facharzt für Allergologie erforderlich waren. Damit handelt es sich erkennbar nicht um ein bereits erteiltes Zeugnis über eine diagnostizierte Impfunfähigkeit.

(dd) Bei näherer Betrachtung enthält die Internet-Bescheinigung erkennbar keine ärztliche Diagnose über eine bei der Klägerin tatsächlich vorhandene medizinische Kontraindikation gegen die Corona-Impfstoffe. Vielmehr gibt die Bescheinigung nur die persönliche, fachliche Auffassung der dort als Ausstellerin genannten Ärztin Dr. M. wieder, dass vor einer Corona-Impfung grundsätzlich für jede Person zunächst ein Impfstoff-Allergie-Gutachten einzuholen sei. Diese Auffassung widerspricht dem gesetzgeberischen Grundverständnis, dass von einer Impfunfähigkeit nur dann auszugehen ist, wenn in der spezifischen Person eine medizinische Kontraindikation vorliegt. Insofern enthält die Internet-Bescheinigung eine allgemeine Meinungsäußerung einer Ärztin und ist als Impfunfähigkeitsbescheinigung offensichtlich untauglich. Einer individuell für die Klägerin ausgestellten Impfunfähigkeitsbescheinigung steht auch erkennbar entgegen, dass in der Internet-Bescheinigung stets der männliche Artikel vor „Patient“ steht (dieser Patient, der Patient).

cc) Dementsprechend ist die Verletzung der sich aus dem Arbeitsvertrag und § 20a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 IfSG a.F. ergebenden Vorlagepflicht einer Impfunfähigkeitsbescheinigung „an sich“ bereits nicht geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darzustellen.

b) Die Beklagte kann sich aber auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie die außerordentliche Kündigung (hilfsweise) mit einer sozialen Auflauffrist, die der hypothetischen ordentlichen Kündigungsfrist entsprach, ausgesprochen habe. Im Berufungsverfahren ist nur noch im Streit, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der von der Beklagten ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung „mit sozialer Auslauffrist“ zum 31.07.2022 endete.

aa) Grundsätzlich ist der Arbeitgeber nicht gezwungen, bei Vorliegen eines wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB fristlos zu kündigen. Er kann die Kündigung grundsätzlich auch freiwillig – etwa aus sozialen Gründen oder weil eine Ersatzkraft fehlt – unter Gewährung einer „sozialen Auslauffrist“ aussprechen (BGA, 13.05.2015 – Az: 2 AZR 531/14). Dies gilt sowohl für Arbeitnehmer mit tariflichem Kündigungsschutz als auch für ordentlich kündbare Arbeitnehmer. Ein Verzicht auf den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung liegt hierin nicht vor, wenn die Kündigung nach dem Empfängerhorizont erkennbar als außerordentliche Kündigung ausgesprochen wird. Dies ist hier der Fall. Die Wirksamkeit einer solchen außerordentlichen Kündigung mit „sozialer Auslauffrist“ setzt sowohl bei ordentlich kündbaren Arbeitnehmern als auch bei solchen mit tariflichem Kündigungsschutz jedoch voraus, dass ein wichtiger Kündigungsgrund iSd. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt.

Es wurde bereits ausgeführt, dass der von der Beklagten angeführte Kündigungsgrund (Vorlage der Internet-Bescheinigung und Täuschungsversuch im Hinblick auf das vermeintlich erteilte ärztliche Zeugnis) keinen wichtigen Grund gemäß § 626 Abs. 2 BGB zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung darstellt.

bb) Hiervon zu unterscheiden ist eine außerordentliche Kündigung mit „notwendiger Auslaufrist“.

(1) Ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB liegt auch im Verhältnis zu einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis ordentlich nicht gekündigt werden kann, dann vor, wenn es dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls – objektiv – nicht zuzumuten ist, den Arbeitnehmer auch nur bis zum Ablauf der (fiktiven) ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. In diesem Fall ist eine außerordentliche Kündigung auch dann gerechtfertigt, wenn die ordentliche Kündigung nicht ausgeschlossen ist. Typische Fallkonstellationen für eine gerechtfertigte außerordentliche Kündigung mit „notwendiger Auslauffrist“ gegenüber einem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer sind die dauerhafte Betriebsstilllegung, bei der nicht nur der konkrete Arbeitsplatz, sondern jegliche Beschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers dauerhaft entfallen ist, oder die dauerhafte Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, sodass ein Leistungsaustausch dauerhaft nicht mehr möglich ist. In diesen Fällen kann es dem Arbeitgeber unzumutbar sein, das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers mit tariflichem Kündigungsschutz bis zu dessen Eintritt in den Ruhestand fortzusetzen, obgleich er in vergleichbarer Situation einem ordentlich kündbaren Arbeitnehmer nicht gemäß § 626 Abs. 1 BGB außerordentlich kündigen könnte.

Demgegenüber kommt bei Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist nur in Ausnahmefällen in Betracht. Die Pflichtverletzung muss einerseits so gravierend sein, dass sie im Grundsatz auch eine fristlose Kündigung rechtfertigen könnte. Andererseits muss es dem Arbeitgeber aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls zumutbar sein, dennoch die (fiktive) ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten. Sofern jedoch die Pflichtverletzung nicht so schwerwiegend ist, dass sie „an sich“ als wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht käme, jedoch eine ordentliche Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial rechtfertigen könnte, führt auch der Ausschluss der ordentlichen Kündigung – wie vorliegend – regelmäßig nicht dazu, dass ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist besteht. Wenn die verhaltensbedingte Vertragsverletzung des Arbeitnehmers typischerweise nur eine ordentliche Kündigung sozial zu rechtfertigen vermag, kann einem Arbeitnehmer mit tariflichem Kündigungsschutz regelmäßig auch nicht außerordentlich mit notwendiger Auslauffrist gekündigt werden. Dies gebietet der Sinn und Zweck des Sonderkündigungsschutzes.

(2) Hieran gemessen liegen auch die Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung mit „notwendiger Auslauffrist“ nicht vor. Die von der Beklagten gerügte Verletzung der vertraglichen Nebenpflicht zur Vorlage einer Bescheinigung nach § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG a.F. ist gerade nicht so gravierend, dass es der Beklagten schlechterdings unzumutbar ist, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin – auch nur bis zum Ablauf einer fiktiven Kündigungsfrist – fortzusetzen. Die gerügte Pflichtverletzung ist gerade nicht so schwerwiegend, dass sie geeignet ist, einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen.

Die Arbeitgeberin konnte mithin der Klägerin auch nicht außerordentlich mit notwendiger Auslauffrist zum 31.07.2022 kündigen. Die hilfsweise ausgesprochene außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist ist rechtswidrig.

c) Ungeachtet dessen fiele vorliegend auch die Interessenabwägung zugunsten der Klägerin aus.

aa) Die Interessenabwägung im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB hat bei Vorliegen einer Vertragspflichtverletzung ua. zum Gegenstand, ob dem Kündigenden eine mildere Reaktion als eine fristlose Kündigung, also insbesondere eine Abmahnung oder fristgerechte Kündigung zumutbar war. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist. Liegt nur eine dieser Fallgruppen vor, kann Ergebnis der Interessenabwägung nicht sein, den Kündigenden auf eine Abmahnung als milderes Mittel zu verweisen. Die zweite Fallgruppe betrifft ausschließlich das Gewicht der in Rede stehenden Vertragspflichtverletzung, die für sich schon die Basis für eine weitere Zusammenarbeit irreparabel entfallen lässt. Dieses bemisst sich gerade unabhängig von einer Wiederholungsgefahr. Die Schwere einer Pflichtverletzung kann zwar nur anhand der sie beeinflussenden Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, diese müssen aber die Pflichtwidrigkeit selbst oder die Umstände ihrer Begehung betreffen. Dazu gehören etwa ihre Art und ihr Ausmaß, ihre Folgen, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers sowie die Situation bzw. das „Klima“, in der bzw. in dem sie sich ereignete. Sonstige Umstände, die Gegenstand der weiteren Interessenabwägung sein können, wie etwa ein bislang unbelastetes Arbeitsverhältnis, haben bei der Prüfung der Schwere der Pflichtverletzung außer Betracht zu bleiben. Dies gilt umgekehrt ebenso für ein nachfolgendes wahrheitswidriges Bestreiten, das für sich genommen ebenfalls nichts über die Schwere der begangenen Pflichtverletzung besagt.

bb) Hieran gemessen fällt die Interessenabwägung zugunsten der Klägerin aus. Die Beklagte hat aus diesseitiger Sicht mit ihrer außerordentlichen Kündigung vom 24.01.2022 bereits den das gesamte Kündigungsrecht beherrschenden Grundsatz der Erforderlichkeit verletzt. Voraussetzung einer fristlosen oder ordentlichen Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen ist neben einer schuldhaften arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung grundsätzlich eine vorherige einschlägige Abmahnung. Das Gesetz kennt selbst in Zusammenhang mit strafbaren Handlungen des Arbeitnehmers – die hier nicht erkennbar waren – keine absoluten Kündigungsgründe. Vielmehr ist auch dann im Rahmen der Interessenabwägung an Hand der Umstände des Einzelfalles zu prüfen, ob dem Kündigenden trotz der eingetretenen Vertrauensstörung zumutbar ist, das Arbeitsverhältnis – zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist – fortzusetzen.

Dies zugrunde gelegt wäre es der Beklagten vorliegend zumutbar gewesen, der Klägerin vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung eine Abmahnung auszusprechen und das Arbeitsverhältnis mit ihr fortzusetzen. Die Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflicht war weder schwerwiegend noch lagen Voraussetzungen der Entbehrlichkeit einer Abmahnung hier vor. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass sich die Klägerin eine Abmahnung nicht hätte zur Warnung dienen lassen. Weder aus dem Akteninhalt noch infolge des in der Berufungsverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks der Klägerin konnte geschlussfolgert werden, dass sie sich grundsätzlich und unverrückbar weigert, sich auf eine etwaige Impfunverträglichkeit fachärztlich untersuchen zu lassen und eine Bescheinigung nach § 20a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 IfSG a.F. der Beklagten vorzulegen. Eine dahingehende Uneinsichtigkeit oder Verweigerungshaltung der Klägerin hat die Beklagte weder dargelegt noch bewiesen.

Vorinstanz: ArbG Lübeck, 13.04.2022 – Az: 5 Ca 189/22
Verfahrensgang: BAG – Az: 2 AZR 66/23 (anhängig)
LAG Schleswig-Holstein, 07.12.2022 – Az: 5 Sa 82/22 ECLI:DE:LARBGSH:2022:1207.5SA82.22.00